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Selbstverschuldeter Fachkräftemangel

Von überforderten Ausländerämtern, frustrierten Arbeitgebern und zur Untätigkeit verurteilten Familienvätern


Ich habe keine Ahnung, wer David (Name geändert) meine Handynummer gegeben hat. Er rief mich vor einigen Wochen an und teilte mir – in sehr gutem Englisch – mit, ich sei seine letzte Hoffnung. Solchermaßen geschmeichelt nahm ich mir die Zeit, mir seine Geschichte anzuhören.


In aller Kürze: David ist Ghanaer und kam mit seiner Frau, einer Nigerianerin, im Jahr 2016 nach Deutschland. Dort stellte er einen Asylantrag, der – wenig überraschend – abgelehnt wurde. Während dieses Verfahren lief, machte er eine Ausbildung zum Gabelstaplerfahrer, die er erfolgreich abschloss. 2016 und 2018 wurden zwei Kinder geboren, die mittlerweile die Kita besuchen. Die Familie lebt schon lange nicht mehr in einer kommunalen Unterbringung, sondern in einer kleinen Wohnung in Düsseldorf-Rath. Erstmals erhielt er im August 2021 eine Beschäftigungserlaubnis und arbeitete ein paar Wochen als Gabelstaplerfahrer in Mönchengladbach. Da die einfache Wegstrecke von seiner Wohnung zu seinem Arbeitsplatz über eineinhalb Stunden dauerte, riet ihm sein Arbeitgeber, doch eine freie Stelle als Gabelstaplerfahrer in Krefeld anzunehmen; dorthin käme er in wesentlich kürzerer Zeit mit der Stadtbahn. David folgte dem Rat und teilte dem Ausländeramt mit, er wolle das Jobangebot in Krefeld annehmen. Dort allerdings nahm man den Jobwechsel offenbar zum Anlass, ihm die Beschäftigungserlaubnis zu entziehen.


Ganz ehrlich: So recht glauben konnte ich das nicht. Also ging ich der Sache nach.


Von der – sehr freundlichen – zuständigen Mitarbeiterin im Ausländeramt erfuhr ich, dass David nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags ausreisepflichtig sei und lediglich deshalb in Deutschland geduldet würde, weil das – mit Sicherheit auch aussichtslose – Asylverfahren seiner jüngsten Tochter noch anhängig sei und im Hinblick auf das Herkunftsland seiner Frau Abschiebungshindernisse bestünden. Eine Beschäftigungserlaubnis hätte ihm nie erteilt werden dürfen, da er nach einem bestimmten Stichtag im Jahre 2015 aus einem sogenannten „sicheren Herkunftsstaat“ – und Ghana falle nun einmal unter diese Kategorie – eingereist sei. So sei das in Paragraph 60a Absatz 6 Nummer 3 Aufenthaltsgesetz geregelt. Immerhin sagte mir die freundliche Mitarbeiterin zu, dass sie mir – natürlich gegen Vorlage einer Vollmacht meines „Mandanten“ – ihre entsprechende Verfügung zur Kenntnis geben wollte.


Als ich diese las, war ich doch einigermaßen sprachlos. Auf insgesamt sechs Seiten arbeitet sich dieses Schreiben an einem regelrechten Gestrüpp von Rechtsnormen ab, das angesichts ständiger Rechtsänderungen (die in der Regel offensichtlich dem jeweiligen politischen Zeitgeist geschuldet sind) praktisch jegliche Systematik eingebüßt hat, und dessen Schöpfer – also der Gesetz- und Verordnungsgeber – offenbar jeglichen Sinn dafür verloren hat, dass diese Vorschriften von ganz normalen Beamtinnen und Beamten des mittleren und gehobenen Dienstes auch noch angewandt werden müssen. Entsprechend liest sich dieses Schreiben, das mit „Ordnungsverfügung“ überschrieben ist. Von allen möglichen Formen von Aufenthaltstiteln ist darin die Rede, um dann darauf hinzuweisen, dass David ja gar keinen Aufenthaltstitel hat, sondern lediglich geduldet ist. Aber auch geduldeten Ausländern könne eine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden, wobei die Bundesagentur für Arbeit der beabsichtigten Beschäftigung zustimmen muss. Bei der Beschäftigungserlaubnis für lediglich geduldete Ausländer sei allerdings sorgsam darauf zu achten, dass eine „die spätere Beendigung des Aufenthalts unter Umständen hindernde auch nur faktische Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse vermieden“ wird. Und dann ist da eben noch der Paragraph 60a Absatz 6 Nummer 3, den ich bereits erwähnt habe.


Nach einer fünfseitigen Safari durch den Paragraphendschungel des Ausländerrechts kommt am Schluss die Überraschung. Da nämlich heißt es, dass David am 18. August 2021 eine Arbeitserlaubnis erteilt worden sei, die zwar rechtswidrig sei (Paragraph 60a Absatz 6 Nummer 3!), auf deren Rücknahme aber aus Verhältnismäßigkeitsgründen verzichtet werde, da die Duldung ohnehin alsbald auslaufe.


Hoppla! Wie, dachte ich, passt das denn zum ersten Satz der „Ordnungsverfügung“: „Ihr Antrag auf Genehmigung einer Beschäftigung wird abgelehnt“? Offensichtlich bestand und besteht hier eine – wie Juristen sagen: bestandskräftige – Beschäftigungserlaubnis, die auch nicht zurückgenommen wurde. Arbeiten darf David aber dennoch nicht. Aber nicht, weil er keine Beschäftigungserlaubnis bekommt oder ihm diese entzogen wird, sondern weil das Ausländeramt die Anforderung von Davids zukünftigem Arbeitgeber einfach nicht an die Bundesagentur für Arbeit weiterleitet.


Das geht natürlich nicht! Denn, ob eine Beschäftigungserlaubnis an geduldete Ausländer erteilt wird oder nicht, steht zwar im Ermessen der Behörde. Ist sie aber einmal erteilt, dann kann sie nicht auf kaltem Wege dadurch ausgehebelt werden, dass die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit (die in solchen Fällen eine reine Formsache ist!) einfach nicht eingeholt wird.


Es mag ja sein, dass in Davids Fall die Arbeitserlaubnis nicht hätte erteilt werden müssen oder dürfen, auch wenn man nicht nur über den Sinn, sondern auch die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift in Paragraph 60a Absatz 6 Nummer 3 trefflich streiten kann. Jetzt aber ist sie in der Welt und kann nicht durch einen erneuten, und in diesem Falle offensichtlichen Rechtsverstoß außer Kraft gesetzt werden.


Zumal es ja letztlich fast ein Glück ist, dass die Vorschrift – Paragraf 60a usw. – bei der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis für David offensichtlich übersehen wurde. Denn so fällt David nicht dem Steuerzahler zu Last, kann eine Arbeit ausüben, für die dringend Leute gesucht werden, und kann seine Familie aus eigener Kraft ernähren.


Ob dadurch eine mögliche Abschiebung erschwert wird? Vielleicht. Aber wollen wir Menschen wie David und seine Familie wirklich abschieben? Wohl kaum. Der erhebliche Aufwand, den eine Abschiebung verursacht, sollte auf solche ausreisepflichtigen Ausländer konzentriert werden, die integrationsunwillig oder gar straffällig geworden sind, nicht aber auf arbeits- und integrationswillige Familien, die dem Steuerzahler gerade nicht zur Last fallen wollen.


Damit wäre allen gedient. Nicht nur dem Fiskus, auch dem Arbeitgeber, der händeringend nach Fachkräften sucht, David und seiner Familie natürlich – und wohl auch den völlig überlasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Düsseldorfer Ausländeramt!


Wer sollte sich denn beschweren, wenn eine Vorschrift nicht angewandt wird, mit der der – häufig untaugliche – Versuch unternommen wird, Zuwanderer zu vergrämen und zur Rückkehr in ihr Herkunftsland zu bewegen? Tatsächlich legen wir damit nicht selten den Grund für Hartz-4-Karrieren bei Menschen, die eigentlich gerne ihren Beitrag zu Wohlstand und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft leisten würden und hier dringend gebraucht werden.



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