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Der lange Schatten der Stasi

Der Chemnitzer Ex-OB Peter Seifert möchte nicht mit Holger Friedrich diskutieren.


Ich hatte mich sehr auf die Teilnahme von Chemnitz' langjährigem Oberbürgermeister Peter Seifert an meiner Veranstaltung "35 Jahre deutsche Einheit" am 27. August 2025 gefreut.

Nun hat er leider kurzfristig abgesagt. Er möchte nicht gemeinsam mit Holger Friedrich auf einem Podium sitzen; Grund ist die Stasi-Verstrickung des heutigen Eigentümers der Berliner Zeitung. 


So wenig ich Verständnis für seine Absage habe, sie passt irgendwie zum Thema. 

Seine Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit in den beiden letzten Jahren vor der Wende hat Holger Friedrich nie bestritten und eine Überprüfung des Vorgangs - immerhin durch Marianne Birthler und Ilko-Sascha Kowalczuk - kam keineswegs zu dem Ergebnis, dass er den Bespitzelten Schaden zugeführt habe. Umso erstaunlicher ist es, dass offenbar auch mehr als 35 Jahre nach dem Mauerfall eine Diskussion zwischen Tätern und Opfern der Stasi kaum möglich zu sein scheint. Dabei wäre sie nach meiner Überzeugung dringend nötig. 


Ich selbst bin genetisch zu 100 % Schwabe und damit ein Wessi durch und durch. Ich hatte aber das Glück, ganz zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn einige Monate als Referent der SPD-Fraktion in der - ersten und letzten - frei gewählten Volkskammer der DDR gearbeitet zu haben und damit Augen- und Zeitzeuge der unmittelbaren Nachwendezeit zu werden. Es war die Zeit, als der Einigungsvertrag verhandelt wurde. Natürlich wäre es für das Zusammenwachsen dessen, was - nicht nur! - für Willy Brandt zusammengehörte, besser gewesen, wenn das Grundgesetz, durch eine neue Verfassung abgelöst worden wäre, die, wie von Art. 146 Grundgesetz alter Fassung vorgesehen, "vom deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen" worden wäre. Aber, abgesehen davon, litten die Beitrittsverhandlungen erheblich darunter, dass die ostdeutschen Unterhändler ihren westdeutschen Kollegen nicht nur in punkto Verwaltungs- und Verhandlungserfahrung unterlegen waren, sondern auch dadurch abgelenkt wurden, dass immer wieder tatsächliche oder angebliche Stasi-Verstrickungen das Misstrauen in die eigenen Leute schürte.

Die IM-Tätigkeit ihres ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Ibrahim Böhme beispielsweise beschäftigte die SPD-Fraktion nach meiner Erinnerung wesentlich mehr als etwa die Frage, wann und wie die "neuen Bundesländer" denn in den Länderfinanzausgleich integriert werden sollten. 


So verständlich der Wunsch und das Bedürfnis nach einer gründlichen Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit war, im Ergebnis war sie wohl mit ursächlich dafür, dass bis heute viele Menschen im Osten den Eindruck gewinnen mussten, ihr Land sei nach der Wende gewissermaßen von Westdeutschen kolonisiert worden. Denn betroffen von Stasi-Vorwürfen waren naturgemäß nur Personen mit DDR-Vergangenheit. Dabei waren die Hintergründe für eine IM-Tätigkeit höchst unterschiedlich. Manch einer ließ sich mit der Stasi ein, weil er ansonsten nicht studieren, reisen oder in den Genuss irgendwelcher vom Staat verteilten Privilegien kommen konnte. Bei anderen mag das Motiv Opportunismus, Karrierismus oder einfach auch nur Wichtigtuerei gewesen sein.


In jedem Falle aber waren Wessis grundsätzlich unverdächtig, obwohl sie nicht selten ihre Karriere vergleichbaren Charaktereigenschaften zu verdanken hatten, aber eben das Glück hatten, nicht im "Spitzelstaat" DDR, sondern im Rechtsstaat BRD groß geworden zu sein. Dass das Führungspersonal in den neuen Bundesländern der Nachwendezeit - sei es in den Universitäten und in der Verwaltung, aber auch etwa in der Kultur und in der Wirtschaft – ganz überwiegend aus dem Westen rekrutiert wurde, dürfte insofern ganz maßgeblich auch darin seinen Grund gehabt haben, dass man seinen eigenen Leuten nicht traute und unter keinen Umständen einen Fehler machen wollte. 


Hierin liegt der wesentliche Unterschied, wenn man die Entwicklung Ostdeutschlands vergleicht mit der Entwicklung anderer Staaten des ehemaligen Ostblocks. Zwar wurde auch dort Vergangenheitsbewältigung betrieben, eine externe qualifizierte Führungsreserve stand allerdings nicht zur Verfügung, so dass man auf eigenes Personal zurückgreifen und dabei vielleicht auch den einen oder anderen Kompromiss machen musste. 


Letztlich dürfte die gründliche Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit, so verständlich und geboten sie gerade aus Sicht der Opfer auch gewesen sein mag, mit Blick auf das Zusammenwachsen Deutschlands nicht immer hilfreich, bisweilen vielleicht sogar regelrecht kontraproduktiv gewesen sein.


Umso wichtiger ist es, dass wir heute, mehr als 35 Jahre nach dem Ende der DDR, offen darüber reden. Ich freue mich auf das Gespräch mit Holger Friedrich, dessen Vita und dessen unternehmerischer Erfolg ihn meines Erachtens durchaus als ostdeutsches Role Model qualifizieren.


Und gerne hätte ich dazu auch mit Peter Seifert gesprochen, den ich vor über 30 Jahren als einen der klügsten und inspirierendsten Politiker Ostdeutschlands kennen gelernt habe.


Wirklich schade, dass er nicht dabei ist.



 
 
 

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