Was mit einer Bierlaune begann und wieso man sich das antut
Eigentlich ist es einer Bierlaune zu verdanken, dass ich zum Laufen gekommen bin. Am Donnerstag vor dem Berlin-Marathon 1995 – es muss der 21. September gewesen sein, denn der Berlin-Marathon findet immer am letzten September-Sonntag statt – saß ich mit einem damaligen Arbeitskollegen in einer Kneipe am Göhrener Ei in Berlin Prenzlauer Berg, als dieser mich mit der Frage überraschte: „Du am Sonntag ist Berlin-Marathon, wollen wir da mitmachen?“ „Können wir machen, das Problem ist nur: Ich habe kein passendes Schuhwerk“, war meine Antwort. Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf.
Ich besorgte mir am Samstag vor dem Lauf ein Paar Laufschuhe und startete vollkommen untrainiert um 9:00 Uhr auf der „Straße des 17. Juni“ meinen ersten Marathon. Bis circa Kilometer 12 schaffte ich es im Laufschritt, danach setzten längere Geh-Phasen ein und bei Kilometer 23 schließlich fand ich mich mit unerträglichen Schmerzen in Wade und Oberschenkel auf einer Trage des Roten Kreuzes wieder, kurz bevor mich der Besenwagen ohnehin eingeholt hätte. Der Muskelkater an den Folgetagen war so dramatisch, dass ich es vorzog, Treppen rückwärts herauf- und herunterzugehen. Aber, so schmerzlich diese Erfahrung war, der Laufbazillus hatte mich befallen.
Ich begann also einigermaßen regelmäßig zu trainieren und nahm ein Jahr später erneut und dieses Mal erfolgreich am Berlin-Marathon teil. 4 Stunden und 19 Minuten zeigte die Uhr, als ich die Ziellinie überschritten hatte. Das war der Anfang. 1997 und 98 lief ich erneut den Berlin-Marathon und beim London-Marathon 1999 absolvierte ich die 42,195 Kilometer zum ersten Mal in einer Zeit von unter 4 Stunden! Das ist insofern bedeutsam, als es unter Läufern den schönen Kalauer gibt: Was ist der Unterschied zwischen einem Jogger und einem Läufer? – 4 Stunden!
In den nächsten knapp 20 Jahren blieb ich nach dieser Definition ein Läufer und schaffte beim Hamburg-Marathon 2001 mit knapp 3 Stunden und 20 Minuten meine „historische“ Bestzeit.
In meinen besten Läufer-Zeiten lief ich vier Marathons pro Jahr. Zwei im Frühjahr, zwei im Herbst, wobei der Düsseldorf-Marathon (im April) und der Berlin-Marathon in der Regel gesetzt waren. In viele europäischen Metropolen machte ich anlässlich ihres Marathons einen Kurzurlaubs, bei dem mich zumeist die ganze Familie begleitete. Barcelona, Madrid, Rom, Paris, Stockholm, Helsinki, Rotterdam, Venedig, Wien – alles großartige Städte, die ich auf Laufschuhen erkundete – ein Sightseeing der ganz besonderen Art!
Wie viele Marathons ich in meinem Leben gelaufen bin, weiß ich nicht. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Es werden wohl so an die 60 sein. Berlin bin ich insgesamt 18 mal gelaufen und besitze als Mitglied des Jubilee Clubs – da kann Mitglied werden, wer mehr als zehnmal erfolgreich teilgenommen hat – eine ewige Startnummer (2253). Auch in Düsseldorf war ich schon über zehn Mal dabei.
Ich kann mich gut erinnern, dass mir nicht wenige prophezeit hatten, mit dem Amt des Oberbürgermeisters sei es mit dem Marathon vorbei. Dem war nicht so. Denn mit Ausnahme des Pandemie-Jahres 2020 lief ich auch während meiner Amtszeit jedes Jahr mindestens einen Marathon, und mit Chicago, Boston und Athen (auf der Originalstrecke von Marathon ins Panathinaikos Stadion) vielleicht die anspruchsvollsten.
Wieso tut man sich das an?
Nun, besonders gesund ist es wahrscheinlich nicht. So hilfreich regelmäßige Leibesübungen auch sein mögen, für mehr als 42 Kilometer im Laufschritt ist die Conditio Humana – von Einzelfällen abgesehen – nicht vorgesehen. Der Zauber, die Faszination des Marathons, ist einfach der „Kick“, den man spürt, wenn man völlig erschöpft die Ziellinie überschreitet, nachdem man immer heftigeren Wadenkrämpfen widerstanden und die wiederholten Angriffe des berühmten „Mannes mit dem Hammer“ (der kommt meistens so bei Kilometer 30) erfolgreich abgewehrt hat.
Das Training, will heißen das regelmäßige Laufen kürzerer Distanzen ist aber durchaus gesund und tut einem physisch wie mental gut. Vor einem Marathon laufe ich in der Regel zweimal die Woche 10 Kilometer und am Wochenende einen Halbmarathon. Längere Distanzen laufe ich im Training praktisch nie. Gleichwohl habe ich die zweite Hälfte der Marathondistanz im Wettkampf noch immer geschafft, wohl mit einer Mischung aus Erfahrung und Adrenalin.
Das Angenehme am Laufen ist, dass es sich um einen Sport handelt, den man fast überall mit wenig Equipment ausüben kann. Ein paar Laufschuhe lassen sich auch in leichtem Gepäck unterbringen. Und das Laufen hilft – jedenfalls geht es mir so – zu entspannen und den Kopf freizubekommen. Nicht selten kommen mir beim Laufen die besten Ideen. Nicht weil ich mit diesem Vorsatz losgelaufen bin – sie fliegen mir einfach zu. Und manchmal hilft das Laufen auch, Dampf abzulassen und sich abzureagieren. Diesem Zweck diente etwa der Berlin-Marathon am Tag der Bundestagswahl 2017 und drei Tage nach der Ratssitzung, in der es um die Finanzen der Tour de France ging. Die Sitzung gehörte – jedenfalls nach meiner Wahrnehmung – nicht gerade zu den Sternstunden der kommunalpolitischen Debattenkultur. Und ich war danach in der Tat so geladen, dass ich mich meiner ewigen Startnummer besann und kurzerhand drei Tage später 42 Kilometer durch die Bundeshauptstadt rannte. Danach war der Ärger verflogen und ging es mir wieder gut, was auch das eher betrübliche Ergebnis der Bundestagswahl nicht zu beeinträchtigen vermochte.
Mein schönster Marathon war wohl der New-York-City-Marathon 2008, zwei Tage vor der Wahl von Barack Obama. Millionen von Zuschauern standen dicht gedrängt am Rand der Strecke, die durch alle fünf Boroughs von New York führt, und machten diesen Lauf zu einer eindrucksvollen Wahlkampfkundgebung des zukünftigen US-Präsidenten. Und selbstverständlich blieben wir bis zum Wahltag im „Big Apple“ und verfolgten das Wahlergebnis am Times Square in einem provisorisch eingerichteten Café, aus dem der US-Sender CNN live vom Wahlabend berichtete. Und als das Ergebnis feststand, tanzten und jubelten wir mit gefühlt ganz New York und jeglicher Muskelkater war verflogen.
veröffentlicht am 01.04.22 in der Rheinischen Post;
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